Der 51-jährige Österreicher Andy Holzer ist leidenschaftlicher Bergsteiger. Er hat auf allen 6 Kontinenten die höchsten Gipfel erklommen und war mit 9 Jahren das erste Mal am Berg. Vor fünf Jahren hat er angefangen, sich für den Mount Everest zu interessieren. Einmal mit Freunden auf das Dach der Welt zu steigen, das wollte er erleben. Im Mai 2017 ist ihm nach zwei Fehlversuchen der Aufstieg und Abstieg gelungen. Wie er die Besteigung des höchsten Berges der Welt erlebt hat und wie sich der Gipfel für ihn angefühlt hat, erzählt er IndenBergen im Interview.
Nach den jeweils 6 höchsten Gipfeln auf 6 Kontinenten stand der Mount-Everest bis vor Mai dieses Jahres noch aus. Denken Sie, dass der Berg ihnen mit den ersten zwei Versuchen etwas sagen wollte?
Das mit dem Everest ist für mich total abgesetzt von den anderen Seven Summits*, die ich bestiegen habe. Er hat mich jahrelang kalt gelassen. Ich habe mir ja immer gesagt, der Everest na der interessiert mich jetzt nach all den anderen Besteigungen auf diesem Planeten und meinen zwei Versuchen an 8000er im Himalaya und Tibet, nicht mehr. Ich bin ja auch nicht nach Südamerika gefahren um den Aconcagua (6.962 m) zu besteigen sondern um Südamerika zu spüren. Dasselbe mit den anderen Gipfeln dieser Welt, die mir die Chance gaben, Land und Leute auf meine Weise kennen zu lernen. Für mich hat dieser Everest ganz viel gemeinsam mit Sportwagen Marke Lamborghini oder Ferrari.
Warum hat der Everest viel mit der Sportwagen Marke Lamborghini gemeinsam?
Weil der Mensch, völlig natürlich in seinem Gehirn sich ständig selber bedrückt. Wenn man sich überhaupt nicht in der Lage fühlt dorthin zu kommen, sei es monetär, körperlich logistisch, beruflich oder familiär – egal wie – wenn du dich nie in der Lage fühlst, einen Lamborghini zu kaufen, den Everest zu besteigen oder eine Segeljacht zu kaufen, dann stürzt jedes Gehirn mit einer Notschaltung einfach ab und macht den Shortcut zu „das interessiert mich nicht“. Doch sobald der Mensch in der Nähe der Möglichkeit ist, fängt das Gehirn an zu rattern. Bei mir war das vor 5 oder 6 Jahren.
Was ist dann passiert?
Dann habe ich heimlich in meinem Büro angefangen, ohne dass ich es jemanden gesagt habe, mal zu schauen, was es da so gibt. Ich kenne die Geschichte vom Everest schon seit Kindertagen. Ich wollte einfach mal schauen, wie schaut es aus, was gibt es aktuell für Routen. Plötzlich fängt das an interessant zu werden. Bergsteigerisch ist es wirklich wie die Leute sagen, eine mittelmäßige Piste. Auf der Nordroute wo ich war, ist es technisch ein bisschen anspruchsvoller. Aber rein emotional zu wissen, du hast die Möglichkeit mit deinen Freunden auf das Dach der Welt zu steigen, das ist schon spannend und für mich symbolisch das größte was man als Bergsteiger machen kann.
Was haben Sie empfunden, als sie da oben standen?
Am Gipfel selber, bist du gut beraten, wenn du die ganzen Empfindungen emotionaler Natur runterfährst. Emotionalisierung kostet viel Energie und am Everest ist diese Energie extrem beschränkt. Ich wusste, dass die Menschen die nicht mehr nach Hause kamen vom Everest, dass die größtenteils am Abstieg gescheitert waren. Am Everest ist am Gipfel für mich 15 Prozent der Strecke geschafft. Die anderen 85 Prozent gehören der höchsten Konzentration in den schwächsten Stunden deines Bergsteigerdaseins.
Was meinen Sie mit den schwächsten Stunden?
So abgefeuert, dehydriert und fix und fertig von den letzten acht Tagen des Aufstiegs, bin ich von keinem anderen Berg gewesen. Deswegen habe ich am Everest-Gipfel alles heruntergefahren und nur noch ans Funktionieren gedacht. Wir waren 7.20 Uhr morgens bei null Wind und mit Sonnenschein auf dem Gipfel. Es war Wahnsinn. Als hätte das jemand für mich alles angerichtet, nach 2 Fehlversuchen. Als wäre das der Lohn meiner Hartnäckigkeit und Beharrlichkeit. Der Gipfel selber, ist so eine schräge, eisige harte Fläche. Es ist nicht so Schnee, wie man das sich vorstellt wo man mit dem Fuß reinhacken kann und ein schöner Tritt entsteht. Da kannst du weder Hocken noch anständig stehen. Das ist nur anstrengend.
Denken Sie, dass dieser Gipfel, den Sie jetzt so detailliert beschrieben haben, zum Everest passt?
Der Everest zeigt dir, dass du überhaupt nichts Anrichten kannst mit deinen physischen Kräften. Von den Elementen her ist das eine unglaubliche Überkraft, die du nur bändigen kannst, wenn du dein Hirn einschaltest. Und deswegen findet man auch diese schroffe und grausige Gipfelschranke dort oben. Der Berg zeigt seine kalte Schulter und ist erbarmungslos. Wenn du ihn so lässt und empathisch mit ihm lebst, dann hast du die größte Chance auf dieser unwirklichen Spitze.
Gibt es auch Oberflächen, die sich hingegen sehr sanft anfühlen?
Ja, Selbstverständlich. Auf dem obersten Hochlager des Mount Everests auf 8.300 m ergab sich um die Mittagsstunde so eine Firnoberfläche. Da ist es uns vorgekommen, als wären wir auf der Lenzerheide. Dann haben wir nach Hause telefoniert und unseren Liebsten mitgeteilt, dass alles wunderbar und super und wir sicher sind. So haben wir das vermittelt. Wir waren im Lager 3 auf 8.300 m, 100 m höher als der Cho Oyu, der sechst höchste Berg unserer Erde. So relativiert sich das alles. Nur 500 m unter dem Dach der Welt haben wir das alles ganz anders gefühlt mit dem Schnee, das war schon heimelig.
Sie haben sich ja lange mit dem Mount Everest auseinandergesetzt, hatten sie sich die Besteigung auch so vorgestellt?
Immer wo ich hinfahre, schaue ich, dass ich virtuell mich schon mal dorthin bewege. Ich finde es schade, wenn ich dort raufkomme und zu verarbeiten beginne, was da überhaupt ist. Ich bin immer einen Schritt voraus und fühle mich da als wäre ich schon mal da gewesen. Ich war vom Everest eher im positiven überrascht. Natürlich weil das Wetter nur noch genial war. Gleichzeitig wurden wir mit der Schwelle zwischen Himmel und Erde konfrontiert. Wir haben beim Aufstieg einen Australier getroffen. Beim Abstieg hat der Mensch nicht mehr gelebt.
Weitere Informationen zum Thema
Sie möchten mehr über den Österreichischen Bergsteiger Andy Holzer erfahren? Der blind Climber spricht in einem weiteren Interview mit IndenBergen von seiner Faszination fürs Bergsteigen, ob er auch gerne wandert und was er für eine Beziehung zum Berg hat.
*Die jeweils höchsten Berge der sieben Kontinente werden inoffiziell als die Seven Summits (englisch für ‚sieben Gipfel‘) bezeichnet.